Wissensdatenbank Wirtschaftsrecht

aktuelles Dokument: TiRAmtshaftung
image4
image3
image2
image1
 Alle Kategorien:
  Forschungsdatenbank
  Lehrveranstaltungen
  Lexikon
  Literatur
  Rechtsgebiete
  Rechtsprechung
  Service
  Studium F H S
  Wissensmanagement
ich war hier: TiRAmtshaftung
 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Oben2.png)




Thema: Amtshaftung bei Fehler eines Notarztes

Rechtsnormen: Art. 34 GG; § 839 BGB; § 116 Abs. 1 SGB X; ThürRettG

Schlagworte: Amtshaftung, historische Auslegungsmethode, Ausübung öffentliches Amt, Grundsatz des einheitlichen Haftungsregimes



 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Urteil.png)


BGH, Urt. v. 12. Januar 2017 – III ZR 312/16




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/VorinstanzlicheUrteile.png)


LG Erfurt 3. Juli 2015, 10 O 1738/13
OLG Jena 19. Mai 2016, 4 U 592/15




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Sachverhalt.png)


Im Rahmen einer notfallärztlichen Versorgung nach einem Verkehrsunfall kam es zu erheblichen Komplikationen, die möglicherweise auf fehlerhafte Medikamentation durch den Notarzt zurückzuführen ist. Die Krankenkasse und die Pflegekasse des Verletzten fordern vom Landkreis, in dem sich der Unfall ereignet hat, Schadensersatz aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X). Das Landgericht Erfurt und das Oberlandesgericht Jena haben die Klagen abgewiesen. Dagegen wendet sich die Revision.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Entscheidung.png)


Der Bundesgerichtshof hat die Revision zurückgewiesen. Die Entscheidung enthält mehrere bedeutsame Feststellungen:

1. Der Rettungsdienst in Thüringen ist öffentlich-rechtlich organisiert; ein Notarzt ist in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig (dazu 1).

2. Haftende Körperschaft für Fehler bei Durchführung der notärztlichen Versorgung ist nicht der Landkreis, sondern die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (dazu 2).




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Begruendung.png)


1. Notarzt als „Beamter“ § 839 Abs. 1 BGB

In Übereinstimmung mit dem LG und dem OLG Jena ist der BGH zunächst der Auffassung, dass der Rettungsdienst in Thüringen öffentlich-rechtlich organisiert ist. Das ergibt sich für den BGH aus der Gesamtschau der Vorschriften des Thüringer Rettungsdienstgesetzes (ThürRettG). Er leitet das aus dem Gesetzeszweck selbst (§ 1 ThürRettG), der Funktion der Gefahrenabwehr (§ 4 Abs. 2 ThürRettG), der Aufgabenzuweisung an die Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen des eigenen Wirkungskreiss (§ 5 ThürRettG), der Möglichkeit der Aufgabenübertragung und Beauftragung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 6 und 7 ThürRettG) sowie die Möglichkeit der Festlegung der Entgelte durch Satzung oder Verordnung (§§ 20 und21 ThürRettG). Aus der Gesamtheit des Normgefüges leitet der BGH zutreffend die öffentlich-rechtliche Organisation des Rettungsdienstes in Thüringen ab.

Ein am Rettungsdienst teilnehmender Notarzt handelt dann in Ausübung eines öffentlichen Amtes, er ist somit „Beamter“ im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB. Bei entstehenden Schäden lassen sich entsprechende Ansprüche somit zutreffend auf § 839 BGB stützen.



2. Kassenärztliche Vereinigung Thüringens als verantwortliche Körperschaft im Sinne des Art. 34 Satz 1 GG – Passivlegitimation

Nach Art. 34 Satz 1 GG haftet die anstellende oder beauftragende Körperschaft für in Ausübung eines öffentlichen Amtes verursachte Schäden. Da der Notarzt beim beklagten Landkreis nicht angestellt war, stellte sich die Frage nach dessen Beauftragung. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ThürRettG ist die notfallärztliche Versorgung ausdrücklich aus dem Aufgabenkreis der im Übrigen für den bodengebundenen Rettungsdienst zuständigen Gebietskörperschaften herausgenommen. Diese ist stattdessen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürRettG durch die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen sicherzustellen. Insofern lässt sich dem Gesetz eine differenzierte Aufgabenzuweisung für den bodengebundenen Rettungsdienst entnehmen. Der gegenteiligen Argumentation der Kläger hält der Bundesgerichtshof unter anderem auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes entgegen. Im Vorgängergesetz (vom 22.12.1992 – GVBl S 609) bestand die Aufgabenzuweisung noch ohne Einschränkung an die Landkreise und die kreisfreien Städte. In der Folgezeit stellte sich jedoch heraus, dass die Aufgabenträger vor allem im ländlichen Bereich Probleme mit der Gewährleistung der notärztlichen Versorgung hatten. Demgemäß entschied sich der Landesgesetzgeber zur Aufgabenteilung. Dafür spricht auch die Begründung des Gesetzentwurfs, wenn die Landkreise bzw. kreisfreien Städte dort als „bisherige Aufgabenträger“ bezeichnet werden (LT-Drs. 4/3691 S. 1). Im Übrigen folgt der Bundesgerichtshof dem argumentativen Verweis der Kläger auf § 13 (Bestellung eines verantwortlichen ärztlichen Leiters Rettungsdienst durch die Aufgabenträger Landkreise und kreisfreie Städte) und § 17 (Koordinationspflicht der Landkreise und kreisfreien Städte durch Einrichtung einer rettungsdienstlichen Einsatzleitung bei größeren Notfallereignissen) nicht. Es handelt sich hierbei um eigene Aufgabenzuweisungen, die losgelöst sind von der Aufgabenzuweisung an die kassenärztliche Vereinigung Thüringens.
Auch der argumentativen Bezugnahme auf den „Grundsatz des einheitlichen Haftungsregimes“ erteilt der Bundesgerichtshof eine Absage. Dieser sei nämlich ausschließlich zur Abgrenzung zwischen privatrechtlicher und hoheitlicher Tätigkeit entwickelt worden. In den Fällen muss der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden. Eine Aufspaltung einer einheitlichen Aufgabe in Einzelakte ist unzulässig (vgl. u.a. BGH Urteil vom 16.09.2004, III ZR 346/03). Der Bundesgerichtshof hielt es insoweit für sachgerecht, den Notarzt und die sonstigen am Rettungsdienst Einsatz beteiligten Personen einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Haftungsregime zu unterwerfen. Das lässt sich aber auf die Aufgabendifferenzierung von zwei öffentlich-rechtlichen Aufgabenträgern nicht übertragen.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/AuswirkungenaufdiePraxis.png)


Der Fall zeigt auf, dass gerade im Bereich der Amtshaftungsansprüche auch weiterhin erhebliche prozessuale Risiken für Kläger bestehen. Obwohl in den wohl überwiegenden Fällen die Amtspflicht und deren Drittwirkung problematisch sein dürften, bleibt die Frage nach der Passivlegitimation häufig unklar. Jedenfalls lässt sich ohne eine fundierte Rechtsprechung oftmals nicht prognostizieren, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Kaum ein Bereich wie derjenige der Amtshaftung ist derart rechtsprechungsgeprägt. Das Urteil leistet nun einen winzigen Beitrag zur Beseitigung zukünftiger Unklarheiten. Grundsätzliches lässt sich daraus aber kaum ableiten.




 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/LinkzumUrteil.png)


http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=77311&pos=0&anz=1





 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/TiRAmtshaftung/Unten2.png)





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune


CategoryAmtshaftung
Diese Seite wurde noch nicht kommentiert.
Valid XHTML   |   Valid CSS:   |   Powered by WikkaWiki