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Thüringer Bauordnung [ThürBO]

Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune



§ 85
Zuständigkeit der Marktüberwachungsbehörden



(1) Zuständig ist die obere Marktüberwachungsbehörde, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Die gemeinsame Marktüberwachungsbehörde ist zuständig für die einheitliche Prüfung und Bewertung von Bauprodukten in technischer Hinsicht. Sie ist außerdem in den Fällen, in denen Bauprodukte nach den Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 die in Bezug auf die Wesentlichen Merkmale erklärte Leistung nicht erbringen oder eine Gefahr im Sinne des Artikels 58 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 darstellen, dafür zuständig, Maßnahmen nach den Artikeln 56 und 58 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011, § 26 ProdSG und den Artikeln 16, 19, 20, 28 und 29 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 zu ergreifen.

(3) Besteht für die obere Marktüberwachungsbehörde Grund zu der Annahme, dass Maßnahmen oder Anordnungen nach Absatz 2 in Betracht kommen, gibt sie die Sachbehandlung für das Produkt an die gemeinsame Marktüberwachungsbehörde ab. Die Zuständigkeit der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde beginnt mit dem Eingang der Abgabe. Soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist, umfasst sie alle Aufgaben und Befugnisse nach § 84 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2; sie schließt die Zuständigkeit der oberen Marktüberwachungsbehörde auch dann aus, wenn sie durch die Abgabe der Sachbehandlung für das Produkt durch eine Marktüberwachungsbehörde eines anderen Landes begründet worden ist. Die Befugnis der oberen Marktüberwachungsbehörde, bei Gefahr im Verzug vorläufige Maßnahmen und Anordnungen zu treffen, bleibt unberührt. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts einer Marktüberwachungsbehörde, der nicht nach § 44 ThürVwVfG nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht vorgelegen haben oder die obere Marktüberwachungsbehörde die Sachbehandlung nicht an die gemeinsame Marktüberwachungsbehörde abgegeben hat, obwohl die Voraussetzungen des Satzes 1 vorgelegen haben; im Übrigen bleiben die §§ 45 und 46 ThürVwVfG unberührt.

(4) Maßnahmen und Anordnungen der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde gelten auch in Thüringen.

(5) Der Vollzug der Maßnahmen und Anordnungen der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde einschließlich der Anordnung von Maßnahmen des Verwaltungszwangs obliegt der oberen Marktüberwachungsbehörde.


*) Absatz 2 bis 5 treten gemäß § 93 Nr. 2 an dem Tag in Kraft, an dem das Abkommen zur zweiten Änderung des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik in Kraft tritt.

Quelle










Kommentierung






A. Normgeschichte



1. Historie/Gesetzesbegründung


2014 (G.v.25.03.2014 - GVBL. 2014, 49)

Absatz 1 enthält den Grundsatz der Zuständigkeit der oberen Marktüberwachungsbehörde vorbehaltlich der nachfolgenden abweichenden Regelung.

Absatz 2 grenzt diese Regelzuständigkeit abstrakt gegenüber der Zuständigkeit des Deutschen Instituts für Bautechnik als gemeinsamer Marktüberwachungsbehörde ab. Die dort aufgeführten Anordnungen und Maßnahmen betreffen jeweils die materielle Beschaffenheit des jeweiligen Bauprodukts. Deren Beurteilung setzt eine spezifische Fachkunde voraus. Die Beurteilung durch das Deutsche Institut für Bautechnik oder von diesem beauftragte dritte Stellen stellt sicher, dass sie einheitlich und nicht durch einzelne Länder unterschiedlich erfolgt. Mit dieser Regelung wird die gesetzliche Zuständigkeitszuweisung vorgenommen, die notwendig ist, den gemeinsamen Marktüberwachungsbehörden auch solche Maßnahmen und Anordnungen nach den genannten Rechtsgrundlagen zu ermöglichen, die in die Rechte Dritter eingreifen können. Dies gilt auch im Falle der einheitlichen Prüfung und Bewertung von Bauprodukten in technischer Hinsicht (Absatz 2 Nr. 1), da diese mit Anordnungen zur Durchführung von Laborprüfungen verbunden sein können (Artikel 19 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung -EG- Nr. 765/2008).

Insbesondere kann es sich darüber hinaus - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - um folgende Anordnungen und Maßnahmen handeln:
- die Anordnung, dass Produkte, die die geltenden Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit nicht erfüllen, vom Markt genommen werden beziehungsweise ihre Bereitstellung auf dem Markt untersagt oder eingeschränkt wird (Artikel 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, § 26 Abs. 2 Nr. 6 und 7 ProdSG und § 56 Abs. 4 BauPG),
- die Anordnung der Vernichtung oder anderweitigen Unbrauchbarmachung von Produkten, die eine ernste Gefahr darstellen (Artikel 19 Abs. 1 Unterabs. 2, Artikel 29 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, § 26 Abs. 2 Nr. 8 ProdSG),
- die Warnung vor Gefahren, die von Produkten ausgehen (Artikel 19 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, § 26 Abs. 2 Nr. 9 ProdSG),
- die Anordnung, dass Produkte, die eine ernste Gefahr darstellen, zurückgerufen oder vom Markt genommen werden, oder durch die die Bereitstellung solcher Produkte auf dem Markt untersagt wird (Artikel 20 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, § 26 Abs. 4 ProdSG),
- die Feststellung nach Artikel 28 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 in den Fällen des Artikel 27 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 765/2008,
- Maßnahmen zur Unterbindung des Inverkehrbringens von Produkten, die eine ernste Gefahr darstellen, sowie geeignete Maßnahmen bei der Feststellung, dass Produkte mit den Harmonisierungsvorschriften der Gemeinschaft im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit nicht übereinstimmen (Artikel 29 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 765/2008).

Soweit es demgegenüber beispielsweise um Koordinierungsaufgaben geht, die dem Deutschen Institut für Bautechnik zugewiesen werden sollen, genügt eine Regelung im Abkommen über das Deutsche Institut für Bautechnik.

Absatz 3 ergänzt die abstrakte Zuständigkeitsregelung durch eine konkret einzelfallbezogene Zuständigkeitsregelung.

Satz 1 verpflichtet die obere Marktaufsichtsbehörde zur Abgabe der Sachbehandlung für ein Produkt an das Deutsche Institut für Bautechnik als gemeinsame Marktüberwachungsbehörde, sobald für sie Grund zu der Annahme besteht, dass Marktüberwachungsmaßnahmen oder ‑anordnungen nach Absatz 2 in Betracht kommen, also Maßnahmen oder Anordnungen, die eine Beurteilung der materiellen Beschaffenheit des Bauprodukts voraussetzen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen "Grund zu der Annahme" und "in Betracht kommen" sind bewusst niedrig angesetzt und belassen der oberen Marktüberwachungsbehörde einen Beurteilungsspielraum. Das Produkt ist jeweils das bestimmte Produkt eines bestimmten Herstellers oder Importeurs.

Satz 2 regelt klarstellend, dass die Zuständigkeit des Deutschen Instituts für Bautechnik als gemeinsamer Marktüberwachungsbehörde mit dem Eingang der Abgabe durch die obere Marktüberwachungsbehörde beginnt.

Satz 3 enthält den Grundsatz der Einheit der Zuständigkeit der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde: Vorbehaltlich abweichender nachfolgender Regelungen umfasst diese Zuständigkeit nach Halbsatz 1 zunächst alle Aufgaben und Befugnisse nach § 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und damit auch die Zuständigkeiten und Befugnisse der oberen Marktüberwachungsbehörde, die sich auf lediglich formale Anforderungen an das jeweilige Bauprodukt beziehen. Zugleich schließt nach Halbsatz 2 diese Zuständigkeit der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde die Zuständigkeit der oberen Marktaufsichtsbehörde auch dann aus, wenn sie durch die Abgabe der Sachbehandlung durch eine Marktüberwachungsbehörde eines anderen Landes begründet worden ist. Dies ist erforderlich, um die Einheitlichkeit der Bewertung und des weiteren Vorgehens in Deutschland zu gewährleisten. Daraus folgt zugleich, ohne dass dies einer ausdrücklichen Regelung bedürfte, dass das Deutsche Institut für Bautechnik als gemeinsame Marktüberwachungsbehörde die Länder über den Zeitpunkt des Eingangs einer Abgabe der Sachbehandlung und über deren Gegenstand unverzüglich zu unterrichten hat.

Die mit der Abgabe verbundene Bindungswirkung für das Deutsche Institut für Bautechnik schließt die jedenfalls theoretische Möglichkeit nicht aus, dass Länder in großem Umfang und zumindest unter Ausschöpfung der in der Grundnorm des Absatz 3 Satz 1 enthaltenen faktischen Spielräume Abgaben vornehmen mit der Folge, dass dadurch beim Deutschen Institut für Bautechnik möglicherweise nicht zwingend gebotene Aufwendungen entstehen, die auf die Länder nach dem Königsteiner Schlüssel umgelegt werden. Vorkehrungen dagegen, etwa Abweisungs- und Rückgaberechte der gemeinsamen Marktaufsichtsbehörde in Missbrauchsfällen, sind zwar regelungstechnisch vorstellbar, würden aber die jeweilige Zuständigkeitslage über Gebühr komplizieren. Sollte es tatsächlich oder vermeintlich in diesem Zusammenhang zu Missständen kommen, müssten diese unter den Ländern, namentlich auch im Verwaltungsrat des Deutschen Instituts für Bautechnik, geregelt werden.

Nach Satz 4 gilt von dieser einheitlichen Zuständigkeit der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde eine Ausnahme für den Fall von Maßnahmen und Anordnungen bei Gefahr im Verzug. Der Begriff der Gefahr im Verzug entspricht dem allgemeinen sicherheitsrechtlichen Sprachgebrauch; sie liegt vor, wenn durch das Abwarten des Handelns der zuständigen Marktüberwachungsbehörde anstelle des sofortigen Zugriffs durch die "an sich" unzuständige Marktüberwachungsbehörde bei gewöhnlichem Geschehensablauf ein Schaden entstünde. Das Kriterium dient allein der den Mitgliedstaaten überlassenen Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den Marktüberwachungsbehörden der Länder und dem Deutschen Institut für Bautechnik als gemeinsamer Marktüberwachungsbehörde. Ein Konflikt mit dem Sprachgebrauch der Verordnung (EG) Nr. 765/2008, die sich des Begriffs der "ernsten Gefahr" als tatbestandlicher Voraussetzung für bestimmte Anordnungen und Maßnahmen der Marktüberwachung bedient, besteht daher nicht.

Satz 5 enthält eine Ergänzung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Unbeachtlichkeitsvorschriften. Trotz der Weite, mit der in Satz 1 die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Abgabe der Sachbehandlung gefasst sind, ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass im Einzelfall rechtsfehlerhaft eine Abgabe vorgenommen wird oder unterbleibt. In diesen Fällen wird die jeweilige Marktüberwachungsbehörde unter Verstoß gegen die Regelungen über ihre sachliche Zuständigkeit tätig. Solche Verfahrensmängel werden von den Unbeachtlichkeitsvorschriften des § 46 ThürVwVfG nicht erfasst, sodass aus Gründen der Rechtssicherheit eine ergänzende Regelung erforderlich ist. Halbsatz 2 stellt klar, dass es im Übrigen bei den Regelungen der §§ 45 und 46 ThürVwVfG sein Bewenden haben soll.

Nach Absatz 4 gelten Maßnahmen und Anordnungen der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde auch in Thüringen. Auch das Deutsche Institut für Bautechnik als gemeinsame Marktüberwachungsbehörde wird grundsätzlich nur als Marktüberwachungsbehörde desjenigen Landes tätig, das durch die Abgabe der Sachbehandlung für das jeweilige Produkt nach Absatz 3 die in Absatz 2 angelegte Zuständigkeitsübertragung im Einzelfall gleichsam aktualisiert hat. Die angestrebte Einheitlichkeit der Beurteilung und Behandlung der Bauprodukte erfordert aber, dass die jeweils von der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde getroffenen Anordnungen und Maßnahmen auch in den anderen Ländern wirksam werden können. Diese getroffene Regelung ist entsprechenden bauordnungsrechtlichen Vorbildern nachgebildet, auch wenn es vorliegend um Anordnungen auf der Grundlage von Bundesrecht und unmittelbar geltendem europäischen Gemeinschaftsrecht geht, für das nach innerstaatlicher Kompetenzverteilung der Bund konkurrierend zuständig wäre.

Absatz 5 enthält eine weitere weitreichende Ausnahme von dem Konzentrationsprinzip des Absatzes 3 Satz 3 dadurch, dass der Vollzug der Maßnahmen und Anordnungen des Deutschen Instituts für Bautechnik als gemeinsamer Marktüberwachungsbehörde der oberen Marktüberwachungsbehörde obliegt. Dies erfasst auch und insbesondere Maßnahmen der Durchsetzung von Anordnungen der gemeinsamen Marktüberwachungsbehörde.

Thüringer Landtag Drucksache 5/5768



B. Normauslegung


















Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 85.





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune





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