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Internationales Privatrecht

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Schranken der Anwendung


A. Gesetzesumgehung (fraus legis)

Auch im inteernationalen Privatrecht besteht die Gefahr, dass Vorschriften missbräuchlich verwendet bzw. umgangen werden, um zur Anwendung eines für die Betroffenen günstigeren Rechts zu kommen (fraus legis). Um die Gesetzesumgehung unwirksam zu machen, ist das umgangene ungünstigere Recht dennoch anzuwenden und das erschlichene Recht nicht anzuwenden.

I. Voraussetzungen und Fallgruppen der Gesetzesumgehung

Eine Gesetzesumgehung liegt vor, wenn die für eine Anknüpfung und Qualifikation erheblichen Tatsachen zwar tatsächlich vorgelegen haben, aber zweckentfremdet worden sind.
In der Praxis kommt häufig der Fall vor, dass Anknüpfungspunkte bewusst verändert werden. Diese Veränderung kann bewirken, dass auf eine abweichende Rechtsordnung verwiesen wird. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Anknüpfung bewusst manipuliert wird, um so die günstigste Gesetzeslage ausnutzen zu können. Gelegenheit hierfür bieten vor allem die mobilen Anknüpfungspunkte wie der Handlungs- und der Aufenthaltsort, aber auch ein Wechsel des Wohnsitzes oder der Staatsangehörigkeit.

Da nicht jedes Ausnutzen einer vom Gesetzgeber geschaffenen günstigen Möglichkeit verwerflich ist, liegt ein Fall der Gesetzesumgehung nur dann vor, wenn der erzielte Erfolg in krassem Widerspruch zum Gesetzeszweck steht. Solche Fälle sind jedoch nur ausnahmsweise anzunehmen, da nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich bis zur Grenze des ordre public erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist.

II. Beispielfall

V ist Eigentümer eines Grundstücks in Deutschland, welches K kaufen möchte. V und K besitzen beide die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Kaufvertrag wird - dem dänischen Recht entsprechend - formlos in Dänemark geschlossen. Die Notarkosten konnten so eingespart werden. Ist der Kaufvertrag wirksam zustande gekommen?

Lösung:

Es liegt ein Fall mit Auslandsberührung vor, da die Parteien den Kaufvertrag in Dänemark abgeschlossen haben. UN-Kaufrecht als vorrangiges zu prüfendes vereinheitlichtes Sachrecht ist nur auf Waren und somit nicht auf Grundstückskaufverträge anwendbar.
In Betracht kommt vorliegend gemäß Art. 3 Nr. 1 lit. b) EGBGB die Anwendbarkeit der Art. 3 ff. Rom I-VO. Da die PArteien kein Vertragsrecht i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO gewählt haben, ist nach Art. 4 Rom I-VO objektiv anzuknüpfen. Vorliegend soll ein Grundstück verkauft und das Eigentum daran übertragen werden. Hierbei handelt es sich um einen Vertrag, der ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand hat, Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO. Das Grundstück befindet sich in Deutschland. Art. 4 Abs. 1 lit. c) Rom I-VO verweist damit auf deutsches Recht. anhaltspunkte für eine Korrektur dieser Vermutung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO liegen nicht vor.

Im deutschen Recht sind Kaufverträge über Grundstücke formbedürftig, § 311 b BGB. Die Teilfrage der Formunwirksamkeit ist jedoch nicht nach der lex causae, sondern gemäß Art. 11 Rom I-VO selbständig anzuknüpfen.
Gemäß Art. 11 Rom I-VO ist entweder die Form des Geschäftsstatuts (Art. 11 Abs. 1, 1. Alt. Rom I-VO, hier: deutsches Recht, insbes. § 311 b Abs. 1 BGB) oder die Ortsform (Art. 11 Abs. 1, 2. Alt. Rom I-VO hier: dänisches Recht, Formfreiheit) ausreichend. Ein formfreier Abschluss nach dem dänischen Recht würde damit genügen.
Jedoch müssen gemäß Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO bei Verträgen, die ein dingliches Recht an einem Grundstück zum Gegenstand haben, die international zwingenden Formvorschriften des Belegenheitsortes eingehalten sein. Wäre § 311 b Abs. 1 BGB eine solche, wäre die notarielle Form für die Wirksamkeit des Kaufvertrags zwingend erforderlich. Nach herrschender Meinung erhebt diese Formvorschrift jedoch keinen Anspruch auf unbedingte Anwendbarkeit im Inland. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO steht der Formwirksamkeit des Vertrags folglich nicht entgegen.

Der Kaufvertrag könnte aber dennoch unwirksam sein, wenn die Pateien nur deshalb nach Dänemark gefahren sind, um die deutsche Formvorschrift des § 311 b Abs. 1 BGB zu umgehen. Sie könnten so den Anknüpfungspunkt absichtlich in fraudem legis missbräuchlich manipuliert haben, um eine für sie günstige Gesetzeslage ausnutzen zu können.
Neben der objektiven Voraussetzung - Manipulation des Anknüpfungspunktes - erfordert die Gesetzesumgehung auch eine subjektive Komponente: Der Wechsel muss missbräuchlich vorgenommen worden sein, d.h. in einem nicht zu billigenden Verhalten der Parteien bestehen.
Vorliegend haben V und K den Ort ihres Vertragsschlusses eigens nach Dänemark verlegt und sich so dem deutschen Recht bewusst entzogen. Für die Missbräuchlichkeit ihres Verhaltens spricht der Umstand, dass weder die Parteien noch der Vertrag selbst eine Beziehung zu dänischem Recht aufweist.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der umgangene Gesetzgeber durch seine großzügige Regelung in Art. 11 Rom I-VO zu einem derartigen Verhalten einlädt. Er hat damit in Kauf genommen, dass die Parteien den Ort ihres Vertragsschlusses von den dort geltenden Formvorschriften abhängig machen. Offensichtlich wurden Fragen der Form als nicht so wichtig angesehen, dass ihre bewusste Vermeidung die Unwirksamkeit des Geschäfts nach sich ziehen soll. Jedenfalls wiegt das Interesse an der Einhaltung bestimmter Formvorschriften geringer, als die Einbuße an Rechtssicherheit. Diese entstünde aber, wenn man die Wirksamkeit eines Geschäfts von einer Motivforschung bei den Vertragsparteien abhängig machen wollte. Eine Kollisionsnorm, die ausdrücklich die Ortsform genügen lässt, muss sich daher beim Wort nehmen lassen.
Daher liegt kein fraudulöses Geschäft vor und es kommen ausschließlich dänische Formvorschriften zur Anwendung.
Damit ist der Kaufvertrag zwischen V und K formwirksam.
Deshalb ist auch das forum shopping kein Fall der Gesetzesumgehung. Der Gesetzgeber hat die freie Wahl des Gerichtsstandortes von Gesetzes wegen erlaubt, indem er mehrere Gerichtszuständigkeiten eröffnet.
Kein Fall der Gesetzesumgehung liegt vor, wenn die anknüpfungs- oder qualifikationserheblichen Tatsachen nur vorgetäuscht, also simuliert werden (unechte Gesetzesumgehung). Das Institut der fraus legis ist für die Anwendbarkeit der eigentlich einschlägigen Normen nicht erforderlich. Unwahre Sachverhalte sind schon dem Wortlaut der Qualifikationsnorm nach nicht zulässig.

III. Praxis

Im Allgemeinen nimmt die deutsche Rechtsprechung eine Gesetzesumgehung aus den oben genannten Gründen nur selten an. Eine Umgehung muss über das Ausnutzen der durch den Gesetzgeber eröffneten Möglichkeiten hinausgehen.
So ist zum Beispiel das Ausflaggen von Schiffen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit erlaubt. Hochzeitsparadiese fördern legal den Tourismus. Auch die Gründung von Briefkastenfirmen in Steueroasen bewegt sich noch innerhalb des gesetzlichen Rahmens.

B. Ordre Public

Auch bei Verweisungen auf ausländische Rechtsordnungen dürfen keine Ergebnisse entstehen, die mit wesentlichen Grundsätzen der nationalen Rechtsordnung unvereinbar sind.

I. Funktionen des ordre public

Durch den ordre public (öffentliche Ordnung) werden Normen, die zu unvereinbaren Ergebnissen mit der deutschen Rechtsordnung führen, nicht angewandt. Der Unterscheidung zwischen negativem (Abwehr ausländischer Normen) und positivem ordre public (Durchsetzung inländischer Vorschriften) kommt heute keine Bedeutung mehr zu. Beide fließen ineinander. Mit den speziellen Formen des ordre public und der Generalklausel des Art. 6 EGBGB besteht ein bewegliches System. Das Eingreifen der Normen hängt von einer Gesamtschau der einzelnen Merkmale ab.

II. Eingriffsnormen und Sonderanknüpfungen

Vom ordre public zu trennen sind die sog. Eingriffsnormen und Sonderanknüpfungen. Diese verfolgen die bevorzugte Durchsetzung inländischer Normen, vorwiegend solcher, die einen öffentlich-rechtlichen Charakter oder die besondere spezial- oder wirtschaftspolitische Zwecke zum Ziel haben.
Eingriffsnormen finden über Art. 9 Rom I-VO Anwendung. Hierbei handelt es sich zum einen um Normen, die dem Schutz staatlicher Interessen dienen:
Beispiel Waffenexport: Eine deutsche Gesellschaft beabsichtigt den Export von 100 Granatwerfern nach Nordkorea. Vereinbart wird die Geltung nordkoreanischen Rechts. Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz setzen für die Ausfuhr derartiger Güter eine Genehmigung voraus. Ohne diese ist der Vertrag schwebend unwirksam. Dies gilt wegen Art. 9 Rom I-VO unabhängig von den Parteien gewählten lex causae.
Art. 9 Rom I-VO gilt aber auch für international zwingende Normen des Sonderprivatrechts. Dazu gehört z.B. der Verbraucherschutz, die Wohnraummiete oder das Arbeitsrecht.
Sonderanknüpfungen wie Art. 6 Rom I-VO dienen dagegen dem Ausgleich typischer Ungewichtslagen zwischen den Vertragsparteien, dienen also dem Schutz des Schwächeren. Diese Normen sind gegenüber Art. 9 Rom I-VO leges specialis.
Deutsches Eingriffsrecht und Sonderanknüpfungen setzen sich unbedingt durch. Im Unterschied dazu ist der Einsatz des ordre public abhängig von der Anstößigkeit des kraft fremden Rechts erzielten Ergebnisses.

III. Spezielle Ausprägungen des ordre public

Die Art. 13 Abs. 2, 17 Abs. 1 S. 2, 17 Abs. 2 EGBGB sind Spezialregeln des ordre public. Weitere Ausprägungen finden sich auch in den staatsvertraglichen Vorbehaltsklauseln, z.B. 16 MSA.
Der verfahrensrechtliche ordre public greift bei der anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ein. Die Entscheidungen müssen hiernach insbesondere den Art. 101-104 GG entsprechen.
Spricht eine ausländische Rechtsordnung einen renvoi aus, ist ihr ordre public auch vom deutschen Richter zu berücksichtigen.

IV. Art. 6 EGBGB

Gemäß der Generalklausel des Art. 6 S. 1 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
Voraussetzung für ein Eingreifen des ordre public ist zunächst, dass ausländisches Sach- oder Kollisionsrecht angewandt wird.
Es folgt keine abstrakte Kontrolle der Norm. Vielmehr werden die Folgen der Anwendung der ausländischen Norm, also das durch sie erzielte Ergebnis im konkreten Fall, herausgestellt.
Dieses Ergebnis ist an den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung zu messen. Was im Einzelnen wesentlich ist, muss durch die Rechtsprechung näher ausgestaltet werden. Indizien für die Wesentlichkeit eines Grundsatzes sind z.B. die Strafbewehrung bei einem Verstoß oder der Schutz durch die Menschenrechtskonvention oder die Verfassung.
Spätestens durch den Spanier-Beschluss des BVerfG besteht kein Zweifel, dass die Normen des nationalen IPR unmittelbar an den Grundrechten zu messen sind. Ein Spanier wollte damals eine geschiedene Deutsche heiraten. Für die Ehevoraussetzungen verwies das EGBGB auf das spanische Heimatrecht des Mannes, das eine Wiederheirat ausschloss. Das BVerfG nahm u.a. einen Verstoß des deutschen Kollisionsrechts gegen das Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 2 GG an und lieferte damit den Anstoß zur Reform des deutschen IPR. Jeder Grundrechtsverstoß ist wesentlich. Die Betroffenen genießen deshalb auch dann den Schutz der Grundrechte, wenn durch Kollisionsrecht ausländisches Recht berufen wird.
Jedes Gericht ist über Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG bei seiner Entscheidung an die Grundrechte gebunden. So fallen zwangsläufig auch die vom Gericht angewandten Normen unter die Grundrechtsbindung, wenn sie nach dem Wortlaut, dem Inhalt und ihrer Funktion unter Berücksichtigung der Gleichstellung anderer Staaten und der Eigenständigkeit ihrer Rechtsordnungen für auslandsbezogene Sachverhalte gelten.
Dabei gelten die Grundrechte unter Privaten jedoch auch im IPR nicht unmittelbar, sondern werden wie im übrigen Privatrecht als objektive Wertordnung mittelbar über die Generalklauseln der Rechtsordnung berücksichtigt. Eine solche Generalklausel im Kollisionsrecht ist Art. 6 EGBGB, also der ordre public.
Auch europäische und universelle Grund- und Menschenrechte bilden den Maßstab für den ordre public. Diese ergeben sich aus der Grundrechte-Charta der Europäischen Union, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sowie den menschenrechtlichen europäischen und universellen Übereinkommen, wie der EMRK und verschiedenen Pakten und Übereinkommen der UN.
Die Folge der Rechtsanwendung im konkreten Fall muss mit solch einem wesentlichen Grundsatz offensichtlich unvereinbar sein. Das Ergebnis der Anwendung der ausländischen Norm muss in einem schwerwiegenden Widerspruch zu Gerechtigkeitsvorstellungen und Grundgedanken der deutschen Regelungen stehen, sodass die Anwendung der Norm unzumutbar ist. Dabei wird ein nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff mit der Rechtsordnung immer offensichtlich unvereinbar sein.
Über den Wortlaut der ordre-public-Regel aus Art. 6 EGBGB hinaus, muss der Fall einen hinreichenden Inlandsbezug aufweisen, der über die bloße Anrufung eines deutschen Gerichts hinausgeht. Diese ungeschriebene Voraussetzung ergibt sich aus dem Grundsatz, dass Personen, die keinen Bezug zur deutschen Rechtsordnung haben, durch den ordre public keine deutschen Werte aufgedrängt werden dürfen. Man spricht von der Relativität des ordre public. Je schwächer der Inlandsbezug ist, umso intensiver muss der Verstoß gegen die deutsche Rechtsordnung sein, damit der ordre public eingreifen kann. Entscheidend ist, ob ein deutsches Gericht bei seiner Entscheidung selbst ordre-public-widrige Zustände schaffen würde.

 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/IntPrivatrechtSchranken/public.jpg)

V. Beispielfall 1:

Der Iraner M und F haben im Iran geheiratet und sind schiitischen Glaubens. Sie leben seit vielen Jahren in Köln mit ihrem dreizehnjährigen - ebenfalls iranischen - Sohn S. Im JAhr 2013 wird die Ehe in Deutschland rechtskräftig geschieden. Nun streiten sich M und F um das Sorgerecht für S. M beruft sich auf den für Muslime geltenden § 1180 des iranischen ZGB, nach dem minderjährige Kinder grundsätzlich unter der Gewalt des Vaters stehen. F sagt, das Wohl des Kindes spreche gegen die Sorgerechtserteilung an M. S will, befürwortet vom Jugendamt, bei seiner Mutter leben. Wie wird das zuständige deutsche Familiengericht entscheiden? Rechtsstand 2013.

Lösung:

Bei einem Sachverhalt mit Auslandsberührung, der sich hier durch die iranische Staatsangehörigkeit der Beteiligten ergibt, ist mangels der Anwendbarkeit von vereinheitlichtem Sachrecht gemäß Art. 3 EGBGB mithilfe des IPR das anzuwendende Sachrecht zu bestimmen.
Fraglich ist, welche Kollisionsnorm über eine sorgenrechtliche Fragestellung entscheidet. Vor einem Rückgriff auf das autonome Kollisionsrecht ist gemäß Art. 3 Nr. 2 EGBGB staatsvertragliches Kollisionsrecht auf seine Anwendbarkeit zu prüfen.
Als einschlägige Kollisionsnorm kommt Art. 15 Abs. 1 des Haager Kinderschutzübereinkommens vom 19.10.1996 in Betracht. Das KSÜ ist am 01.01.2011 für Deutschland in Kraft getreten und hat das Haager Minderjährigenschutzabkommen vom 05.10.1961 abgelöst. Das KSÜ ist als loi uniforme ausgestaltet. Das bedeutet, dass die Vertragsstaaten es nicht nur im Verhältnis zu weiteren Vertragsstaaten, sondern auch im Verhältnis zu allen anderen Staaten anwenden. Dass der Iran dem KSÜ nicht beigetreten ist, steht dessen Anwendbarkeit somit nicht entgegen. S ist minderjährig. Gemäß Art. 2 KSÜ ist das Übereinkommen damit anwendbar.
Das anwendbare Recht richtet sich gemäß Art. 15 Abs. 1 KSÜ nach der Zuständigkeit. Zuständig sind gemäß Art. 5 Abs. 1 KSÜ die Gerichte und Behörden des Staates, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die danach zuständigen Gerichte und Behörden wenden gemäß Art. 15 Abs. 1 KSÜ grundsätzlich ihr eigenes Recht an. Hierdurch wird ein Gleichlauf zwischen anwendbaren Recht und internationaler Zuständigkeit hergestellt.
S hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Köln. Damnach sind gemäß Art. 5 Abs. 1 KSÜ die deutschen Gerichte und Behörden zuständig, die gemäß Art. 15 Abs. 1 KSÜ grundsätzlich ihr eigenes Recht anwenden.
Fraglich ist, ob sich aus der Ausweichklausel gemäß Art. 15 Abs. 2 KSÜ etwas anderes ergibt. Danach ist ausnahmsweise das Recht eines anderen Staates, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung hat, anwendbar, wenn der Schutz des Kindes dies erfordert. Art. 15 Abs. 2 KSÜ ist eng auszulegen. In Betracht kommt dessen Anwendung z.B. bei einer Veräußerung von wesentlichen Vermögensgegenständen im Ausland. Die Familie des S lebt jedoch bereits seit vielen Jahren in Köln. Die iranische Staatsangehörigkeit allein vermag eine enge Verbindung zum iranischen Recht nicht herzustellen. Damit bleibt es bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts.

Das KSÜ könnte allerdings vom Deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen vom 17.02.1929 verdrängt werden. Dies sieht in seinem Art. 8 Abs. 3 i.V.m. dem Schlussprotokoll zum Abkommen vor, dass die Angehörigen der Vertragsstaaten in allen familienrechtlichen Fragen ihrem Heimatrecht unterworfen bleiben. Danach wäre das iranische Heimatrecht auf die Sorgerechtsentscheidung anwendbar. Das DIN ist nach wie vor in Kraft. Das Verfahren vor dem deutschen Familiengericht fällt damit in sachlicher wie persönlicher Hinsicht in den Anwendungsbereich des Abkommens.
Fraglich ist, welche staatsvertragliche Kollisionsnorm vorrangig ist. Gemäß Art. 52 Abs. 1 KSÜ lässt das KSÜ internationale Übereinkünfte unberührt, denen Vertragsstaaten als Parteien angehören und die Bestimmungen über die im vorliegenden Übereinkommen geregelten Angelegenheiten enthalten. Das DIN betrifft das Familienrecht insgesamt und daher auch den sachlichen Anwendungsbereich des KSÜ.
Da Deutschland und der IRan auch nicht erklärt haben, dass das KSÜ vorrangig gelten soll, geht Art. 8 Abs. 3 DIN somit Art. 15 Abs. 1 KSÜ vor. Danach ist iranisches Familienrecht anzuwenden.

Entsprechend § 1180 ZGB steht S unter dem walayat seines Vaters M. Das Gericht müsste M das Sorgerecht für S erteilen.
Möglicherweise ist das iranisch-schiitische Sachrecht jedoch wegen eines Eingreifens des deutschen ordre public nicht anwendbar. Das deutsch-iranische Niederlasssungsabkommen als vorrangige staatsvertragliche Regelung verhindert einen Rückgriff auf Art. 6 EGBGB nicht grundsätzlich. Gemäß Art. 6 S. 1 EGBGB wird die Anwendung der Rechtsnormen eines anderen Staates untersagt, wenn diese Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Dabei stellt S. 2 in Art. 6 EGBGB klar, dass eine ausländische Norm insbesondere dann nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.
Es ist also zu prüfen, ob die Anwendung des ausländischen Rechts in Bezug auf den konkreten Fall zu untragbaren Ergebnissen führt, der Verstoß also offensichtlich ist. Ein offensichtlicher Verstoß ist immer dann zu bejahen, wenn ein Grundrecht, welches in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug Geltung erlangt, durch ausländisches Recht verletzt wird. Eine Unterscheidung zwischen tragbaren und untragbaren Grundrechtsverstößen ist nicht zulässig.

Auch ist zu berücksichtigen, dass es nicht auf den konkreten Inhalt der ausländischen Norm ankommt. Erforderlich für ein Eingreifen des ordre public Vorbehalts sind allein die Wirkungen der Norm im Rahmen des konkret zu entscheidenden Sachverhalts.
Das durch § 1180 ZGB erlangte Ergebnis könnte gegen das Recht des Kindes auf Entfaltung seiner Persönlichkeit i.S.d. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen. Der verfassungsrechtliche Schutz des Kindeswohls ist über Art. 6 S.2 EGBGB ein wesentlicher Grundsatz des deutschen ordre public. Dem Kindeswohl entspricht es, wenn nach dem Förderungsprinzip derjenige Elternteil das Sorgerecht erhält, bei dem das Kind vermutlich die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erwarten kann. Nach objektiver Auffassung des Jugendamts kann die Mutter F das Wohl des S am besten fördern. Auch die Entscheidung des Sohnes, bei der Mutter bleiben zu wollen, muss berücksichtigt werden, da diesem mit 13 Jahren die nötige Reife für eine solche Entscheidung zugetraut werden kann. Folglich widerspräche die Sorgerechtserteilung an M dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Zudem kann ein Verstoß gegen Art. 3 GG angenommen werden. Das konkrete Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts, die Sorgerechtsentscheidung zugunsten des Vaters M, stellt hierbei noch keinen Verstoß dar. Durch die grundsätzliche und ausnahmslose Übertragung des Sorgerechts auf den Vater wird die Mutter jedoch in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise diskriminiert, sodass hierin ein Verstoß gegen den ordre public gesehen werden kann.
Damit wird gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts i.S.d. Art. 6 S. 1 EGBGB verstoßen.

Zusätzlich müsste die Entscheidung für das Eingreifen des ordre public einen hinreichenden Bezug zum Inland aufweisen können. Beide Elternteile leben seit Jahren in Deutschland. S ist in Deutschland aufgewachsen. Die Familie hat hier ihren Lebensmittelpunkt. Ein hinreichender Inlandsbezug liegt damit vor.
Bei dieser engen Inlandsbeziehung ist es mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar, wenn ein deutsches Gericht, das auch bei der Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm deutsche Staatsgewalt ausübt, die unter den Geboten des Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG steht, eine Entscheidung zur elterlichen Sorge trifft, die dem Kindeswohl zuwiderläuft und einen Elternteil gleichheitswidrig benachteiligt.
Daher verstößt eine Anwendung des berufenen iranischen Sachrechts vorliegend gegen den deutschen ordre public.

Das Eingreifen des ordre public bewirkt, dass die ausländische Rechtsfolgenanordnung vom deutschen Gericht nicht befolgt wird. Häufig genügt diese negative Auswirkung des ordre public. In anderen Fällen -wie dem vorliegenden hinsichtlich der elterlichen Sorge- bedarf es allerdings einer positiven Regelung.
Eine solche Regelung wird regelmäßig der lex fori, also dem inländischen Recht zu entnehmen sein. Lässt sich das ausländische Recht sinnvoll modifizieren, ist dieses anzuwenden, um den Eingriff in das kollisionsrechtliche System möglichst gering zu halten. Eine solche Anpassung eröffnet dem Richter allerdings einen erheblichen Gestaltungsspielraum; sie ist so zwangsläufig mit einer Einbuße der Vorhersehbarkeit und damit an Rechtssicherheit verbunden. Hilfsweise wird die lex fori angewendet.

Im vorliegenden Fall lässt sich die iranische Regelung durch eine Aufteilung des Sorgerechts dergestalt modifizieren, dass dem Vater die Vermögenssorge und der Mutter die Personensorge für S übertragen wird. Eine solche Differenzierung ist im iranischen Sorgerecht unter bestimmten Umständen vorgesehen. Man gelangt derart zu einer Lösung, die unter größtmöglicher Beachtung der Wertvorstellungen des iranischen Rechts mit der Werteordnung des GG vereinbar ist.

VI. Beispielfall 2:

Der Tunesier T hat in seiner Heimat drei Frauen wirksam geheiratet. Dann ist die Familie nach Deutschland gezogen. Zwei Frauen des T sterben. Kurze Zeit später auch T. Tunesisches Erbrecht verweist für die Erbfolge auf den Wohnsitz. Erbt die dritte Frau F? Rechtsstand 2013.

Lösung:

Der Fall hat durch die tunesische Staatsangehörigkeit des T Auslandsberührung. Vereinheitlichtes Sachrecht ist nicht anwendbar. Daher ist zunächst die maßgebliche Rechtsordnung zu bestimmen.
Fraglich ist, ob sich die Ermittlung des anwendbaren Sachrechts nach vorrangigen gemeinschaftsrechtlichen oder staatsvertraglichen Kollisionsnormen richtet, Art. 3 Nr. 1, 2 EGBGB. Vorrangig anzuwendende gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnormen könnten der am 16.08.2012 in Kraft getretenen ErbRVO zu entnehmen sein. Gemäß Art. 84 ErbRVO gilt diese jedoch erst ab dem 17.08.2015. Daher ist der zeitliche Anwendungsbereich der ErbRVO nicht gegebn. Diese ist daher nicht anwendbar. Staatsverträge mit Tunesien, welche erbrechtliche Kollisionsnormen enthalten, bestehen ebenfalls nicht. Daher sind die Kollisionsnormen des deutschen autonomen IPR anzuwenden.

Erbrechtliche Fragen werden unter Art. 25 Abs. 1 EGBGB qualifiziert. Anknüpfend an die Staatsangehörigkeit des T wird auf tunesisches Recht, einschließlich seiner Kollisionsnormen, verwiesen. Tunesisches IPR verweist zurück auf den letzten Wohnsitz des Erblassers, also auf deutsches Recht. Hier endet die Verweisungskette, Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Damit findet deutsches materielles Erbrecht als anwendbares Sachrecht Anwendung.

Gemäß § 1931 BGB erbt die Ehefrau. Damit F also erben kann, müsste sie die Ehefrau des T gewesen sein. Die Vorfrage, ob eine wirksame Ehe zwischen T und F bestanden hat, muss nach h.M. selbstständig angeknüpft werden. Art. 11, 13 EGBGB verweisen auf tunesisches Recht. Dessen Voraussetzungen lagen vor. Die Ehe war also wirksam. Die dritte Ehefrau F hat einen Erbanspruch.

Fraglich ist aber, ob dieses Ergebnis angesichts des deutschen ordre public Bestand haben kann. Hier wurde offensichtlich gegen den deutschen Grundsatz der Einehe verstoßen. Jedoch fehlt der hinreichende Inlandsbezug, da die Ehe früher und im Ausland geschlossen wurde. Die Hauptfrage der Versorgung einer Ehefrau schafft keinen ordre-public-widrigen Zustand. Sie gibt dem Richter keinen Anlass, deutsche Wertmaßstäbe zu exportieren. Die Rechtsfolgen aus im Ausland begründeten ordre-public-widrigen Rechtsverhältnissen werden anerkannt (effet attenue). Eine Nichtanerkennung der Ehe würde vor allem die Interessen der F ungerechtfertigt beeinträchtigen. Es bleibt daher bei dem Erbschaftsanspruch der F.

VII. Wandelbarkeit des ordre public

Der ordre public ist kein starres Gebilde, sondern unterliegt dem stetigen Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen.



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