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Fall: Bestellung ohne Transportkosten


A. Sachverhalt
Geiz (G) will bei Schlau (S) Büromöbel bestellen. Nach einer telefonischen Verhandlung, in der verabredet wird, dass G dem S eine Bestellung per E-Mail sendet, schreibt G:

Bitte um Lieferung der Ausstattung für 5 Büroräume inkl. Bürostühle wie besprochen und in der Anlage aufgelistet. Preis 10.000 EUR inklusive Transport. Lieferung in meinen Geschäftsräumen bis 31. 10.

S veranlasst eine Lieferung am 28. 10., bei der dem G auch eine Rechnung übergeben wird. In der Rechnung werden neben dem Kaufpreis zusätzlich Transportkosten in Höhe von 500 EUR berechnet. G beachtet es zunächst einmal gar nicht, nimmt die Möbel in Empfang. Anschließend bezahlt er nur die Möbel unter Berufung darauf, dass seine Bestellung inklusive Transport war. S verlangt Zahlung der 500 EUR.

B. Frage
Kann er das?



C. Lösungshinweise
Im vorliegenden Fall kommt es insbesondere darauf an, zu welchem Zeitpunkt Angebot und zu welchem Annahme erfolgt ist. Welche der Erklärungen als Angebot und welche als Annahme zu werten ist, ist im Wege der Auslegung nach § 133 BGB und § 157 BGB zu ermitteln.



D. Musterlösung
S könnte gegen G einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises i. H. d. verbleibenden 500 EUR gem. § 433 Abs. 2 BGB haben. Der Anspruch ist gegeben, wenn ihn S erworben und nicht verloren hat und dieser auch durchsetzbar ist. Anspruch ist erworben, wenn ein Vertrag geschlossen ist, der inhaltlich einen Kaufvertrag darstellt und dieser wirksam ist.

1. Vertragsschluss
In Betracht kommt hier ein Vertragsschluss durch Angebot und Annahme, §§ 145 ff. BGB. Der Vertragsschluss ist in diesem Fall gegeben, wenn zwei übereinstimmende Willenserklärungen vorliegen, d. h. Angebot und Annahme, vorliegen.

a. Angebot des G
Die E-Mail des G könnte ein Angebot darstellen. Mit Übersendung einer E-Mail mit allen Bestandteilen des beabsichtigten Vertrages an S hat G eine Willenserklärung abgegeben, die inhaltlich einen Antrag darstellt und die dem S laut Sachverhalt auch zugegangen ist.

b. Annahme durch S
S könnte das Angebot des G angenommen haben, indem er die Büroausstattung geliefert hat. Voraussetzung dafür wäre, dass eine Willenserklärung des S vorliegt, diese inhaltlich eine Annahme darstellt, durch S abgegeben wurde und dem G als Adressaten zugegangen ist.
Durch die Lieferung der Möbel hat S konkludent eine Erklärung abgegeben, dass er einen Vertrag über die Möbel will. Eine Annahme seitens S liegt prinzipiell vor.

c. Übereinstimmung
Das Angebot des G und die Annahme seitens S müssten allerdings inhaltlich übereinstimmen. S weist in der bei Lieferung übergebenen Rechnung die Transportkosten separat aus, was nicht dem Wunsch des G entspricht. Die damit verbundene - konkludente - Erklärung des S stellt damit keine uneingeschränkte und unbedingte Annahme des Angebots von G dar. Demzufolge ist hier keine Übereinstimmung der Erklärungen sondern ein neues Angebot i. S. d. § 150 Abs. 2 BGB anzunehmen. Damit dieses neue Angebot zum Vertragsschluss führt, müsste es von dem anderen (ursprünglich Antragenden) wiederum angenommen werden - und zwar innerhalb der Bindungsfrist - so dass dadurch eine Übereinstimmung zwischen den Parteien herbeigeführt wurde.

d. Annahme durch G
Durch den Empfang der Lieferung könnte G das neue Angebot des S angenommen haben. Voraussetzung dafür wäre, dass eine Willenserklärung des G vorliegt, diese inhaltlich eine Annahme darstellt, durch G abgegeben wurde und dem S als Adressaten zugegangen ist.

Eine Willenserklärung liegt vor, wenn innerer und äußerer Tatbestand der Willenserklärung vorliegen. Im Hinblick auf den äußeren Tatbestand ist festzustellen, dass eine ausdrückliche Erklärung seitens G nicht vorliegt. Er hat aber die Lieferung in Empfang genommen, ohne dass er der Rechnung widersprochen hat. Die Annahme einer Lieferung kann den Umständen nach als Annahme des der Lieferung zugrunde liegenden Angebotes zu den geäußerten Bedingungen des Anbietenden gesehen werden. Damit liegt ein konkludentes Handeln des G vor, das als Annahmeerklärung betrachtet werden kann.
G hatte allerdings nicht die Absicht, die Lieferung zu den neuen Konditionen anzunehmen, die in der Rechnung festgelegt sind. Er könnte sich darauf berufen, dass ihm hinsichtlich des inneren Tatbestandes der Willenserklärung durch Annahme der Lieferung das Bewusstsein fehlte, eine Abweichung von seinem ursprünglichen Angebot zu bestätigen. Das (fehlende) Erklärungsbewusstsein führt jedoch zur Verneinung einer rechtserheblichen Willenserklärung nur dann, wenn es vom Erklärenden nicht verschuldet wurde (Erklärungsfahrlässigkeit). G hatte aber die Möglichkeit, Klärung des Sachverhaltes mit S herbeizuführen. Nach dem objektiven Empfängerhorizont bedeutet die Annahme der Lieferung auch eine konkludente Willenserklärung mit dem Inhalt der Annahme der neuen Konditionen des Vertrages.

Problematisch ist jedoch, ob G die (konkludente) Willenserklärung gegenüber dem S so abgegeben hat, dass sie ihm zugegangen ist. S hat nicht mitbekommen, wann die Lieferung bei G eingetroffen ist und dass G sie in Empfang genommen hat.
Nach § 151 BGB kommt der Vertrag durch Annahme jedoch auch dann zustande, wenn die Verkehrssitte keine Annahmeerklärung voraussetzt oder wenn der Antragende auf Annahme verzichtet hat. S hat im vorliegenden Fall die Möbel geliefert. Damit erwartet er, dass sie nunmehr bezahlt werden. Es kommt für ihn deshalb nicht mehr darauf an, dass G ihm gegenüber die Annahme ausdrücklich erklärt. Damit hat S auf Annahmeerklärung verzichtet i. S. d. § 151 S.1 BGB. In diesem Falle ist seitens G lediglich eine Annahmehandlung erforderlich, ohne dass eine Erklärung gegenüber S erfolgen muss.
Der widerspruchslose Empfang der Lieferung und in jedem Fall Bezahlung des Kaufpreises stellen eine Annahmehandlung dar.

Damit hat G das Angebot des S gem. § 151 BGB angenommen.

e. Übereinstimmung
Die Erklärungen stimmen überein, wenn sie sich inhaltlich decken, eindeutig sind und den Vertragsinhalt im notwendigen Umfang regeln.
Nach dem inneren Willen des G war keineswegs ein Vertrag "zuzüglich Transportkosten" beabsichtigt. Nach dem objektiven Erklärungsgehalt - G hat die Lieferung mit der Rechnung widerspruchslos akzeptiert - bedeutet das Verhalten des G eine übereinstimmende Erklärung mit dem Angebot des S.
Die Erklärungen des G wie des S waren (aus Sicht eines objektiven Empfängers) eindeutig. Darüber hinaus enthielten sie den notwendigen Umfang des Kaufvertrages.
Damit ist Übereinstimmung gegeben.

f. Zwischenergebnis
Zwischen G und S ist somit ein Vertrag zustande gekommen.

2. Vertragsinhalt
Die Vereinbarung zwischen G und S hat Lieferung von Möbeln zum Gegenstand. Damit stellt sie einen Kaufvertrag dar. Dabei hat G die Transportkosten widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Deshalb umfasst dieser Vertrag auch die Pflicht, die Transportkosten neben dem eigentlichen Kaufpreis zu begleichen.

3. Wirksamkeit
Fraglich ist, ob der Vertrag wirksam ist. Hier könnte G gem. § 142 BGB den Vertrag mit der Wirkung anfechten, dass er vom Anfang an als nichtig anzusehen ist. Der Vertrag ist demnach nichtig, wenn ein Anfechtungsgrund (eine Anfechtungslage) vorliegt, der Berechtigte die Anfechtung fristgemäß erklärt hat

a. Anfechtungsgrund
Als Anfechtungsgrund kommt ein Irrtum i. S. d. § 119 Abs. 1 BGB in Betracht. Ein solcher liegt vor, wenn das vom Erklärenden Gewollte (innerer Tatbestand der Erklärung) mit dem nach außen durchgedrungenen Inhalt (äußerer Tatbestand) nicht übereinstimmt, wobei dies dem Erklärenden unbewusst und für die Vornahme des Rechtsgeschäftes erheblich war.

Hier könnte ein Irrtum des G darüber vorliegen, dass die stillschweigende Annahme der Lieferung eine konkludente Annahme des neues Angebotes des S unter Änderungen darstellt. Dabei irrte G über die Folgen seines Verhaltens, ihm war die rechtliche Erheblichkeit seines Schweigens in diesem Falle nicht bewusst. Darin kann ein mit dem Fehlen des Erklärungsbewusstseins vergleichbarer Irrtum gesehen werden, für den zumindest analog § 119 Abs. 1 BGB anzuwenden ist.
Dieser Lösungsweg ist nur eine mögliche Variante - inwiefern das hier eventuell fehlende Erklärungsbewusstsein für die Anwendung der Irrtumsregeln ausreicht, ist fraglich. Insofern ist eine andere Auffassung auf jeden Fall vertretbar!


Dieser Irrtum war dem G nicht bewusst. Dem G war auch der Umstand wichtig, dass die Lieferung ohne zusätzliche Transportkosten erfolgt. Deshalb ist anzunehmen, dass er das Geschäft bei Kenntnis der Bedeutung seines Verhaltens so nicht vorgenommen hätte. Der Irrtum war auch erheblich.

Es liegt ein Anfechtungsgrund vor.

b. Anfechtungserklärung und -frist
G hat keine Anfechtung erklärt. Sofern er sich auf Unwirksamkeit des Vertrages mit S berufen möchte, muss er dies dem S gegenüber (§ 143 BGB) unverzüglich tun. Tut er dies, ist der Vertrag gem. § 142 BGB vom Anfang an als unwirksam anzusehen.

4. Ergebnis
Sofern G den Vertrag mit S fristgemäß anfechtet, hat S gegen G keinen Anspruch auf Zahlung der 500 EUR Transportkosten.

5. Sonstige Ansprüche
Im Falle der Anfechtung hat S gegen G einen Anspruch auf Rückgabe der Möbel gem. § 812 BGB sowie auf Ersatz des Vertrauensschadens gem. § 122 BGB. G hat gegen S in diesem Falle Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. § 812 BGB.




E. Musterlösung - Variante 2 (erarbeitet in der Vorlesung mit den Studierenden im WS 2009/2010)
Es ist zu prüfen, ob S einen Anspruch darauf hat, von G Zahlung der Transportkosten i. H. v. 500 EUR zu verlangen. Dafür müsste ein Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB auf Zahlung des Kaufpreises gegeben sein.

S könnte gegen G einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises erworben haben. S hat den Anspruch erworben, wenn zwischen ihm und dem G ein Kaufvertrag geschlossen wurde und wirksam ist.

1. Vertragsschluss
Ein Vertrag kann durch Angebot und Annahme gem. §§ 145 ff. BGB zustande kommen. Dafür müsste auf der einen Seite ein Angebot gemacht werden, auf der anderen Seite müsste eine Annahme zu einem Zeitpunkt gegeben sein, in dem der Antragende an das Angebot gebunden ist und die Erklärungen müssten übereinstimmen.

a. Angebot seitens G
Dadurch, dass G dem S eine Nachricht zukommen ließ, könnte seinerseits ein Angebot erklärt worden sein. Ein Angebot ist eine Willenserklärung, die inhaltlich einen Antrag (ein Angebot) i. S. d. §§ 145 ff. BGB darstellt, dem Adressaten gegenüber abgegeben worden und ihm zugegangen ist.
G hat seinem Willen, Möbel im Wert von 10.000 EUR inkl. Transportkosten zu erwerben, Ausdruck gegeben, indem er eine E-Mail an S geschrieben hat. Darin liegt eine Willenserklärung seitens G vor. In der E-Mail sind inhaltlich alle vertragsrelevanten Punkte festgehalten worden, so dass sie inhaltlich ein Angebot darstellt. Durch die E-Mail ist ein Angebot abgegeben. Dem S ist die E-Mail auch zugegangen.
Damit hat G ein gültiges Angebot abgegeben.

b. Annahme
Des weiteren ist zu prüfen, ob S das Angebot von G angenommen hat. S hat die Büroausstattung an G geliefert. Darin könnte eine Annahme bestehen. Dafür ist eine Willenserklärung notwendig, die inhaltlich eine Annahme darstellt, die abgegeben worden und zugegangen ist. S hat zwar nicht ausdrücklich eine Willenserklärung abgegeben, aber aus seinem Handeln lässt sich sein prinzipieller Wille auf Annahme des Angebots von G schließen. Eine konkludente Willenserklärung des S liegt somit vor. Durch die Lieferung gibt S eine Erklärung ab. In dem Augenblick, in dem die Lieferung bei G eintrifft geht sie ihm zu.
Es ist festzustellen, dass die Annahme durch S erfolgt ist.

c. Annahmefähigkeit (Bindung an den Antrag gem. § 145 ff. BGB)
Das Angebot konnte zum Zeitpunkt der Annahme angenommen werden.

d. Übereinstimmung
Es ist ferner zu prüfen, ob die Erklärungen der Parteien übereinstimmen. Dafür müssten die Erklärungen von S und G inhaltlich gleich sein und alle wesentlichen Bestandteile des Kaufvertrages beinhalten sowie eindeutig sein.
Hier hat G erklärt, dass der Kaufpreis 10.000 EUR inkl. Transportkosten betragen soll. S berechnet dem G 500,- EUR für den Transport zusätzlich. Damit stimmen die Erklärungen nicht überein.

e. Neues Angebot des S
Die Erklärung des S stellt eine Annahme mit Änderungen dar. Darin könnte ein neues Angebot seitens S gem. § 150 Abs. 2 BGB vorliegen. Das durch S abgegebene neue Angebot kann zum Vertragsschluss führen, wenn seitens G eine Annahme zum richtigen Zeitpunkt gegeben ist und die Erklärungen (neues Angebot und Annahme seitens G) übereinstimmen.

f. Annahme durch G
Durch den Empfang der Möbel könnte eine stillschweigende Annahme durch G vorliegen. Problematisch ist, ob G den Willen hatte, die Möbel zu den von S geforderten Konditionen zu erwerben. Jedenfalls ist aber hier keine Abgabe und kein Zugang gem. § 130 Abs. 1 BGB bei S erfolgt - G hat die Möbel nur in Empfang genommen.
Gem. § 151 BGB (Satz 1) kommt der Vertrag allerdings auch ohne ausdrückliche Annahmeerklärung gegenüber dem Antragenden zustande, wenn dies nach Verkehrssitte oder nach dem Willen des Antragenden nicht notwendig ist. S hat hier die Möbel mit der Rechnung an G geliefert. Damit ist dem Interesse des S genüge getan, wenn G die Lieferung nur noch annimmt ohne S darüber zu informieren. Dadurch ist die Annahme erfolgt.

g. Bindung an den Antrag und Übereinstimmung
Der (neue) Antrag des S konnte zum Zeitpunkt der Annahme noch angenommen werden. Die Erklärungen stimmen überein, wenn sie eindeutig sind, sich inhaltlich decken und die wesentlichen Bestandteile des Kaufvertrages beinhalten.
G wollte zwar nicht die Transportkosten extra zahlen, jedoch hat er die Lieferung widerspruchslos in Empfang genommen. Nach dem objektiven Empfängerhorizont bedeutet eine widerspruchslose Annahme einer erwarteten Lieferung ein Einverständnis mit den Lieferbedingungen.

h. Zwischenergebnis zu Vertragsschluss
Zwischen G und S ist damit ein Vertrag zustande gekommen.

2. Vertragsinhalt
Die geltend gemachten transportkosten waren Bestandteil der Vereinbarung, wie beim Thema der Übereinstimmung bereits festgestellt.

3. Wirksamkeit
Der Vertrag kann noch angefochten werden - vgl. dazu die erste Version des Gutachtens.




F. Fallabwandlung
Wie wäre der Fall zu bewerten, wenn sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte geeinigt hätten und nicht ausdrücklich eine Bestellung per E-Mail vereinbart hätten und G im Anschluss an die mündliche Verhandlung ein Schreiben mit dem o. g. Inhalt verfasst hätte, dem er folgende Formulierung voranstellt: "hiermit das Ergebnis der mündlichen Vereinbarung noch mal zusammenfasst und Folgendes bestätigt: (...)"?

Lösung der Fallabwandlung
Es handelt sich hier um ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, bei dem der Vertrag bereits abgeschlossen ist. Die schriftliche Fixierung darf grundsätzlich nicht vom mündlich Vereinbarten abweichen und führt nicht etwa zum neuen Vertrag, sondern zur Bestätigung eines bereits geschlossenen Vertrages.
Der Fall des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist nicht mit § 362 Abs. 1 HGB zu verwechseln.





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