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Dies ist eine alte Version von EnergieRNetzzugang erstellt von WojciechLisiewicz am 2014-05-13 09:47:45.

 

Netzzugang

Rechtsfragen des Zugangs zu Energieversorgungsnetzen

Für einen funktionsfähigen Energiemarkt ist ein freier Zugang aller Marktteilnehmer zu Energieversorgungsnetzen eine grundlegende Voraussetzung. Den europäischen Richtlinien [Vgl. aktuell die RL 2009/72/EG und 2009/73/EG] folgend hat auch der deutsche Gesetzgeber diesen Zugang im EnWG geregelt.

Im Folgenden wird die Zugangsproblematik überwiegend am Beispiel des Stromnetzes dargestellt. Bis auf einige, technisch bedingte Unterschiede treffen diese Ausführungen auch auf den Zugang zu Gasnetzen zu. Im Zentrum der gesetzlichen Regelung des Netzzugangs steht dabei der Anspruch auf Zugang zu Übertragungs- und Verteilernetzen, der gegen den Netzbetreiber geltend gemacht werden kann. Dieser Anspruch wird nachstehend - nach einigen grundlegenden Informationen (A.) - im Detail dargestellt (B.).

A. Grundlegende Informationen


1. Begriff
Der Netzzugang im Energierecht, der in § 20 EnWG geregelt wurde, ist als Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Versorgungsnetzes zum Transport von Energie (Strom oder Gas) zu verstehen. Es bezieht sich auf die (in erster Linie in wirtschaftlichen Dimensionen zu verstehende) Möglichkeit der Belieferung einer Entnahmestelle nach vorheriger Einspeisung in einem anderem Netzpunkt. Die Netznutzung umfasst deshalb sowohl die Energieeinspeisung an bestimmten Einspeisepunkten des Netzes und die gleichzeitige Entnahme der eingespeisten Energie an - zum Beispiel auch räumlich davon entfernt liegenden - Entnahmepunkten.
Dabei ist der Netzanschluss von der Frage der (physischen, im Augenblick der Anbindung relevanten) Netzanbindung (Netzanschluss) zu unterscheiden [vgl. dazu die Ausführungen zum Netzanschluss]. Während der Netzanschluss lediglich den technischen Anschluss an das Netz darstellt, ohne die Frage der Durchleitung zu berühren, bezieht sich der Netzzugang auf die Möglichkeit, das Netz, an das man angeschlossen ist, zum Energietransport in Anspruch zu nehmen. Daher spricht man beim Netzzugang oft auch von der sog. Netznutzung. Allein der Anschluss an ein Netz reicht insofern nicht aus, um jemanden mit Energie zu beliefern oder sich selbst beliefern zu lassen. Neben Netzanschluss ist dafür auch der Netzzugang erforderlich.

Die Situation, in der neben dem bisherigen Energieversorgungsunternehmen (traditionell sowohl Lieferant wie Netzbetreiber) und seinem Kunden (Letztverbraucher) ein drittes Rechtssubjekt zum Netz zugelassen werden soll (was der Sinn der Energiemarktliberalisierung war), wird folgerichtig auch "Drittzugang" genannt (engl. third party access, TPA).

2. Bedeutung für den Energiemarkt
Die Sicherstellung eines funktionsfähigen und chancengleichen Wettbewerbs ist seit der Liberalisierung der Energiemärkte eines der obersten Ziele im Energierecht, auch wenn dies nicht so deutlich in § 1 EnWG erwähnt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neue Marktteilnehmer eine reale Möglichkeit des Marktzutritts haben. Notwendig sind dabei nicht nur Regelungen, die den Wettbewerb schützen, sondern auch aktiv fördern.
Die gesetzlichen Bestimmungen zum Netzzugang sind notwendig, weil Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber natürliche Monopole in Bezug auf den Transport von Energie (Strom oder Gas) darstellen. Derjenige, der Energie verkaufen will, benötigt zwingend das vorhandene Netz und den Zugang zu diesem, weil der Parallelbau eigener Leitungen stets höhere Kosten verursachen würde, als die gemeinsame Nutzung der Leitung eines Monopolisten. Dabei ist zu bedenken, dass eine Konfliktsituation insbesondere dann entstehen kann, wenn der Netzbetreiber oder zumindest ein mit ihm verbundenes Unternehmen ebenfalls am Markt für Energielieferungen auftritt. Die Zugangsregulierung soll in diesem Fall verhindern, dass Netzbetreiber ihre Netze den Wettbewerbern nicht freiwillig freigeben oder ihre Nutzung durch überzogene Zugangsbedingungen erschweren.

3. Rechtsnatur und Rechtsquellen
Zivilrechtlich betrachtet wird der Netzzugang im Energierecht über einen Anspruch des Marktteilnehmers gegen den Netzbetreiber auf entsprechende Mitbenutzung des Versorgungsnetzes. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 20 Abs. 1 EnWG, wobei die gesamte Zugangsproblematik in den § 20 ff. EnWG geregelt ist. Die §§ 20 bis 24 EnWG enthalten Regelungen zu allgemeinen Fragen des Netzzugangs (einschließlich der Netzentgelte) und beziehen sich sowohl auf Strom- als auch auf Gasnetze. Daneben stellen die §§ 25 bis 28a EnWG Sonderregeln für den Zugang zu Gasnetzen dar. Ferner sehen die neu hinzugefügten §§ 21b - 21i EnWG die Möglichkeit vor, eine weitere (neben dem Netzbetrieb) Dienstleistung unabhängig vom Netzbetreiber zu erbringen - den Messstellenbetrieb.

§§ 24, 25 S. 4, 27 S. 5 und 28 Abs. 4 EnWG enthalten Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von Rechtsverordnungen, welche die gesetzlichen Bestimmungen des EnWG ergänzen sollen. Dazu gehören u. a. die Stromnetzzugangsverordnung (StromNVZ) und die Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV). Im Falle von Kapazitätsengpässen ist allerdings auch die Anschlussverordnung für Kraftwerke (insbesondere § 7 KraftNAV) sowie die Sonderregeln des EEG, insb. in § 11 EEG, zu beachten.


4. Vertragsverhältnisse
Die Vertragsverhältnisse in Bezug auf den Netzzugang im Strombereich stellen sich wie folgt dar:

a. Netznutzungsvertrag gem. § 20 Abs. 1a S. 1 EnWG
Der Netznutzungsvertrag ist der Vertrag zwischen dem Letztverbraucher und dem Netzbetreiber. Er gewährt das Recht auf Zugang zum gesamten Elektrizitätsversorgungsnetz § 20 Abs. 1a S. 3 EnWG. Der Anspruch auf Abschluss des Netznutzungsvertragesist in § 24 Abs. 1 S. 1 StromNZV vorgesehen. Zu beachten ist dabei der in § 24 Abs. 2 StromNZV vorgegebene Mindestinhalt des Netznutzungsvertrages.
Der Letztverbraucher benötigt nicht unbedingt einen Netznutzungsvertrag, damit er mit Energie beliefert werden kann. Der Letztverbraucher kann direkt mit einem Erzeuger oder einem Händler einen Vertrag über die Energiebelieferung abschließen. Dabei wird vereinbart, dass der Lieferant (Erzeuger/Händler) wiederum mit dem Netzbetreiber einen Netznutzungsvertrag über den Transport des Stroms abschließen muss. In diesem Fall heißt der Netznutzungsvertrag Lieferantenrahmenvertrag, § 20 Abs. 1a S. 2 EnWG, s. u.

b. Lieferantenrahmenvertrag gem. § 20 Abs. 1a S. 2 EnWG
Der Lieferantenrahmenvertrag ist eine Sonderform des Netznutzungsvertrages zwischen einem Lieferanten und dem Netzbetreiber. Eine Besonderheit ist dabei auch, dass sich der Lieferantenrahmenvertrag nicht auf bestimme Energieentnahmestellen (insb. Endkunden) beziehen muss, wie es bei einem "normalen" Netznutzungsvertrag der Fall ist. Dieser Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein Lieferant nicht in allen Fällen einen Endkunden direkt beliefert und somit die genaue Entnahmestelle kennt, sondern beispielsweise auch Zwischenhändler, die ihrerseits den Strom an Endkunden liefern.
Auch in Bezug auf den Lieferantenrahmenvertrag besteht ein Anspruch auf Abschluss des Vertrages. Dieser ergibt sich aus § 25 Abs. 1 StromNZV. Ebenso ist für diesen Vertrag ein Mindestinhalt vorgegeben, § 25 Abs. 2 StromNZV.

c. Bilanzkreisvertrag gem. § 26 Abs. 1 StromNZV
Der Bilanzkreisvertrag hängt mittelbar mit dem Anspruch auf Netzzugang zusammen. In § 20 Abs. 1a EnWG wird er als Voraussetzung des Netzzugangs gefordert. Er wird zwischen dem Bilanzkreisverantwortlichen und dem Netzbetreiber zur Führung, Abwicklung und Abrechnung der Bilanzkreise geschlossen. Hier werden die entsprechenden Mengen und Preise der übertragenen Energien buchhalterisch abgeglichen, um einen entsprechenden Ausgleich zwischen eingespeister und entnommener Energie zu gewährleisten. Gem. § 3 Abs. 2 StromNZV ist ein Bilanzkreisvertrag Voraussetzung für den Abschluss eines Netznutzungs- oder Lieferantenrahmenvertrages sowie für die Geltendmachung des Anspruchs auf Netzzugang.

Zusammenfassend schildert folgende Übersicht die Vertragsverhältnisse:
 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/EnergieRNetzzugang/VertragsverhaeltnisseNetzzugang.jpg)

B. Anspruch auf Netzzugang gem. § 20 Abs. 1 EnWG

Gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG haben Betreiber von Energieversorgungsnetzen jedermann diskriminierungsfrei Netzzugang zu gewähren. Beim Prüfungsaufbau des Anspruchs auf Netzzugang ist zwischen dem Anspruchsgrund und seinem Inhalt zu unterscheiden. Der Anspruch ist dem Grunde nach gegeben, wenn Voraussetzungen des § 20 EnWG erfüllt sind. Das "Wie" des Anspruchs, also was konkret der Anspruch aus § 20 EnWG dem Marktteilnehmer konkret bietet, ist die zweite Frage, die Frage des Anspruchsinhalts.

1. Voraussetzungen des Anspruchs dem Grunde nach

a. Berechtigter
Anspruchsberechtigt gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG ist gemäß dem Wortlaut der Vorschrift jedermann, also jede natürliche oder juristische Person (vgl. § 3 Nr. 28 EnWG). Ein rechtliches Interesse am Netzzugang kann dabei allerdings entweder ein Letztverbraucher i. S. d. § 3 Nr. 25 EnWG oder ein Lieferant i. S. d. § 2 Nr. 5 StromNZV haben. Der Anspruch auf Netzzugang steht damit nicht nur demjenigen zu, der sich mit Energie beliefern lässt, sondern auch demjenigen, der andere mit Energie beliefert.

b. Verpflichteter
Die Verpflichtung, Zugang zu einem Energieversorgungsnetz zu gewähren, trifft alle Betreiber von Energieversorgungsnetzen. Dies gilt gleichermaßen für Betreiber aller Arten (Strom, Gas) und Netzstufen (Hoch-, Mittel-, Niederspannung usw.) gem. § 3 Nr. 4 EnWG.

c. Einbeziehung in ein Bilanzkreissystem
Der Anspruchsberechtigte muss gem. § 20 Abs. 1a S. 5 EnWG, § 3 Abs. 2 StromNZV und § 26 StromNZV in einen Bilanzkreis einbezogen sein, der Teil eines Bilanzkreissystems ist. Dies soll sicherstellen, dass der Netzzugang die Bilanzierung des Netzes nicht beeinträchtigt.
Was ein Bilanzkreis und Bilanzkreisvertrag sind, wurde bereits oben sowie im Lexikon erläutert.

d. Keine Verweigerungsgründe
Der Zugang zum Energieversorgungsnetz kann verweigert werden, sofern hierfür Gründe gem. § 20 Abs. 2 EnWG vorliegen. Ein solcher Grund liegt vor, wenn die Gewährung des Zugangs aus betriebsbedingten Gründen, wie einem Kapazitätsmangel, oder aus sonstigen Gründen unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

      • Kapazitätsmangel
Bei einem Kapazitätsmangel besitzt das Netz nicht genügend Kapazität. Es ist so zu sagen nicht genug ausgebaut, damit alle interessierten Netznutzer es in Anspruch nehmen können. Wie im Detail Netzkapazitäten durch die Netzbetreiber zu handhaben sind, ist in § 13 EnWG sowie in § 15 StromNZV geregelt. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang auch einige Sonderregeln der §§ 11 EEG und 7 KraftNAV zu beachten, die einigen Arten von Erzeugungsanlagen Vorrang gewähren.

Das sog. Engpassmanagement stellt sich vereinfacht wie folgt dar:
 (image: https://hssm.hqedv.de/uploads/EnergieRNetzzugang/folie_035.png)

Die Bewirtschaftung der Kapazität von grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen einen besonderen, allgemein als problematisch bekannten, Bereich dar. Diesbezüglich wird bereits seit Jahren grundsätzlich eine marktorientierte Zuteilung der Kapazitäten über Auktionen praktiziert.

      • Sonstige Gründe der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit
Sonstige Gründe der Unmöglichkeit bzw. der Unzumutbarkeit sind in der Praxis beispielsweise:

Bestehende gültige Lieferverträge
Ein bestehender Liefervertrag des zu beliefernden Kunden kann einen Fall der rechtlichen Unmöglichkeit darstellen und zur Verweigerung des Netzzugangs berechtigen, wenn der neue Energieanbieter einen noch anderweitig gebunden Kunden beliefern will. In diesem Fall kann der Netzbetreiber ihm Netzzugang verwehren, sogar wenn zwischen einer eigenen bzw. mit ihm verbundenen Liefergesellschaft und demselben Kunden ein gültiger Vertrag noch besteht. Dies ist mit der Verbindlichkeit von Verträgen (pacta sunt servanda) zu begründen.

Zahlungsunfähigkeit des Anspruchstellers
Des Weiteren kann auch die Zahlungsunfähigkeit des Anspruchstellers zur Verweigerung berechtigen. Dem Netzbetreiber ist nicht zuzumuten, einem Nutzer Zugang zu gewähren, der nicht im Stande ist, das entsprechende Entgelt zu entrichten. Das ist insbesondere im Falle der Insovenz zu bejahen oder wenn in der Vergangenheit diesbezüglich schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen wurden und Wiederholungsgefahr besteht.

2. Voraussetzungen für den Anspruch dem Inhalt nach
An dieser Stelle ist zu klären, worauf genau sich der Anspruch des Berechtigten gegen den Verpflichteten richten kann.

a. Gegenstand: Transportdienst
Der Berechtigte kann den Transportdienst in Bezug auf die zu transportierende Energie vom Netzbetreiber verlangen (entweder inklusive von Messdiensten oder isoliert). Mehr kann der Anspruchsteller nicht verlangen (zum Beispiel besondere Konditionen, kostenfreien Transport etc.).

b. Richtige Zugangsbedingungen
Zum Anderen hat der Berechtigte einen Anspruch auf solche Zugangsbedingungen gegen den Netzbetreiber, die gesetzlich vorgegeben sind. Als richtig gelten die Bedingungen dann, wenn sie gem. § 21 Abs. 1 EnWG diskriminierungsfrei, angemessen und transparent sind. Unter anderem stellt sich hierbei die Frage von angemessenen Netzentgelten, die ein separates Thema darstellen. Einige allgemeine Vorgaben der Netzzugangsregeln macht der Gesetzgeber in § 21 I EnWG:

      • diskriminierungsfrei
An dieser Stelle gilt der Grundsatz, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln. Das bedeutet insbesondere eine Gleichbehandlung von internen und externen Partnern sowie eine gleiche Behandlung innerhalb der Lastprofilgruppen.

      • angemessen
Die Angemessenheit der Zugangsbedingungen liegt vor, sofern der Netzbetreiber den Anspruchsberechtigten nach sachlichen Kriterien gerechtfertigt behandelt § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG. Dies beinhaltet insbesondere eine effiziente und zügige Vertragsanbahnung, wie es beispielsweise § 22 StromNZV oder § 23 StromNZV vorschreiben. Ebenfalls dürfen gem. § 20a EnWG und gem. § 14 Abs. 3 StromNZV keine Kosten bei einem Lieferantenwechsel entstehen.

      • transparent
In Bezug auf die Transparenz müssen die Netzzugangsbedingungen des jeweiligen Netzbetreibers sowie die Entgeltkalkulation im Internet veröffentlicht werden. Dies muss unmittelbar nach der Ermittlung der Daten, aber bis spätestens 15. Oktober eines Jahres für das Folgejahr erfolgen. Sind die Entgelte bis zum 15. Oktober eines Jahres nicht ermittelt, veröffentlichen die Energieversorgungsnetzbetreiber eine Entgelthöhe, die sich voraussichtlich auf Basis der für das Folgejahr geltenden Erlösobergrenze ergeben wird (§ 20 Abs. 1 S. 1, 2 EnWG).


C. Fallbeispiel


1. Sachverhalt und Fragen
Die Stadtwerke Vetternhausen GmbH (S) betreiben in der Stadt Vetternhausen (V) ein Gaskraftwerk, aus dem unter anderem das Stromnetz der Stadt mit Strom versorgt wird - und damit alle Haushalte und Industriebetriebe in V. Das Stromnetz gehört der S. Zu den Kunden der S gehört unter anderem die Chemiebetriebe AG (C), die technologisch bedingt große Mengen an Strom von S bezieht. Praktisch 80 % der Grundlast aus dem Kraftwerk der S können jeweils an die C verkauft werden.
Das Unternehmen Energiespar-GmbH (E) bietet den Chemiebetrieben C eine deutlich günstigere Versorgung an als die bestehende Lösung. Dafür müsste lediglich ein neues, eigenes Kraftwerk errichtet werden, für das auf dem Gelände der C jedoch kein Platz vorhanden ist. E plant deshalb die Errichtung des neuen Kraftwerks am anderen Ende der Stadt und nimmt Gespräche mit S auf, um notwendige Vereinbarungen abzuschließen. Neben dem Anschluss des neuen Kraftwerks an das Netz der S soll insbesondere ein Lieferantenrahmenvertrag geschlossen werden, kraft dessen die S für die Durchleitung des Stroms verantwortlich sein soll.
Die S weigert sich jedoch zunächst, später verlangt sie von der E-GmbH die Erfüllung von extrem hohen Anforderungen und Vorlage von zahlreichen Unterlagen, was die E-GmbH für unangemessen hält.

1. Kann E von S Zugang zum Stromnetz der S verlangen?
2. Welche Handlung kann E von S genau verlangen? Was muss dabei alles seitens E vorgelegt werden? Welche Voraussetzungen muss E erfüllen, um das Netz der S zu nutzen?
3. Was ist der E zu raten, wenn sich S dennoch weigert?

2. Lösung zu Frage 1
E könnte gem. § 20 Abs. 1 EnWG einen Anspruch auf Zugang zum Stromnetz gegen die S haben. Dazu müsste E den Anspruch dem Grunde und dem Inhalt nach erworben haben.

E hat den Anspruch dem Grunde nach erworben, wenn E Berechtigter, S Verpflichteter und E in ein Bilanzkreissystem einbezogen ist. Außerdem dürfen keine Zugangsverweigerungsgründe vorliegen.

a. Berechtigter
E müsste Berechtigter des Anspruchs auf Netzzugang sein. Berechtigter ist gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG jedermann, also jede natürliche oder juristische Person, die am Netzzugang ein Interesse hat. Dies sind sowohl Letztverbraucher wie Energielieferanten. E müsste also Letztverbraucher i. S. d. § 3 Nr. 25 EnWG oder Lieferant i. S. d. § 2 Nr. 5 StromNZV.
Gem. § 2 Nr. 5 StromNZV ist ein Lieferant ein Unternehmen, dessen Geschäftstätigkeit auf den Vertrieb von Elektrizität gerichtet ist. Laut Sachverhalt bietet E die Versorgung mit Strom an. E ist demzufolge ein Lieferant und damit Berechtigter i. S. d. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG.

b. Verpflichteter
Die S müsste Verpflichteter sein. Gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG sind Betreiber von Energieversorgungsnetzen zur Gewährung des Zugangs zu ihren Netzen verpflichtet. S müsste also ein Versorgungsnetz betreiben. Laut Sachverhalt betreibt die S das Stromnetz in der Stadt V, zu dem E Zugang wünscht. Somit handelt es sich bei S um einen Verpflichteten i. S. d. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG.

c. Einbeziehung in ein Bilanzkreissystem
Des Weiteren müsste E gem. § 20 Abs. 1a S. 5 EnWG, § 3 Abs. 2 StromNZV und § 26 StromNZV in einen Bilanzkreis, der in ein vertraglich begründetes Bilanzkreissystem eingeordnet ist, einbezogen sein. Im Sachverhalt finden sich dazu keine Angaben. Sofern E in der Lage ist, die Zugehörigkeit zu einem Bilanzkreis nachzuweisen und einen abgeschlossenen Bilanzkreisvertrag (dessen Partei sie ist) vorzulegen, ist diese Voraussetzung erfüllt. Andernfalls besteht der Anspruch auf Netzzugang nicht.

d. Keine Verweigerungsgründe
Dem Anspruch auf Netzzugang dürften weiterhin keine Verweigerungsgründe entgegenstehen. Gem. § 20 Abs. 2 EnWG kann ein Netzbetreiber den Netzzugang verweigern, wenn die Gewährung aus betriebsbedingten Gründen oder aus sonstigen Gründen unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Verweigerungsgründe lägen demnach vor, wenn der Netzzugang aufgrund eines Kapazitätsmangels oder aus sonstigen Gründen unmöglich oder unzumutbar wäre.
Zu solchen Gründen gehört auf keinen Fall die Gefährdung des Absatzes für ein eigenes Kraftwerk, wie dies im Falle der S wäre. In diesem Fall kann sich die S auf Verweigerungsgründe des § 20 Abs. 2 EnWG nicht berufen.
Da im Sachverhalt dazu im Übrigen keine Indizien für weitere Verweigerungsgründe enthalten sind, ist davon auszugehen, dass keine Verweigerungsgründe vorliegen.

e. Zwischenergebnis
E den Anspruch auf Zugang zum Stromnetz der S dem Grunde nach erworben.

Zum Anspruchsinhalt vgl. Antwort auf Frage 2.

3. Lösung zu Frage 2
Die Frage 2 bezieht sich auf den genauen Umfang und Inhalt des Anspruchs auf Netzzugang. Es ist insofern zu klären, welche Handlungen und unter welchen Umständen E von S verlangen kann.

a. Anspruch auf Transportdienst
E kann von S in erster Linie verlangen, dass der von ihr produzierte Strom in das Netz der S aufgenommen und transportiert wird.

b. Anspruch auf richtige Zugangsbedingungen
E kann gem. § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG und § 21 Abs. 1 EnWG nicht nur den Transportdienst selbst, sondern auch richtige Zugangsbedingungen, also Konditionen des Transportdienstes verlangen. Im Einzelnen bedeutet dies, dass der Zugang seitens der S diskriminierungsfrei, angemessen und transparent gewährt wird.
Im Sachverhalt wird erwähnt, dass die S später in Bezug auf den Netzzugang einwilligt, dafür jedoch extrem hohe Anforderungen und die Vorlage zahlreicher Unterlagen im Gegenzug verlangt. Sofern dabei nicht lediglich die Vorlage des Bilanzkreisvertrages gefordert wird, stellt sich die Frage, inwiefern die von S gestellten Zugangsbedingungen den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG und § 21 Abs. 1 EnWG entsprechen.

      • Diskriminierungsfreiheit
Sofern im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine Ungleichbehandlung der E in Bezug auf die Zugangsbedingungen zum Stromnetz der S vorliegen, liegt keine Diskriminierung vor. Da S eine im Wettbewerb zum geplanten Kraftwerk der E stehende Anlage betreibt, ist insbesondere das Erfordernis der Gleichstellung des HKW der S mit den an das Kraftwerk der E gestellten Anforderungen zu beachten, § 21 Abs. 1 EnWG. Sofern also von E Formalitäten oder Unterlagen bzw. Handlungen verlangt werden, die von dem HKW der E nicht gefordert werden oder würden, liegt eine Diskriminierung vor.
Im Übrigen kommt es auf die genauen Umstände des vorliegenden Falles an.

      • Transparenz
In Bezug auf einen Verstoß gegen die Transparenz der Zugangsbedingungen sind im Sachverhalt keine Angaben enthalten. Es wird daher auch in diesem Punkt von der Richtigkeit der Netzzugangsbedingungen ausgegangen.
Zu prüfen bleibt im Folgenden, ob die von der S verlangten Zugangsbedingungen auch angemessen sind.

      • Angemessenheit
Dies Zugangsbedingungen sind nicht angemessen, wenn S die E nicht entsprechend sachlich gerechtfertigten Kriterien behandeln würde. Eine nach sachlichen Kriterien gerechtfertigte Behandlung drückt sich insbesondere in einer effizienten und zügigen Vertragsanbahnung sowie einem kostenfreien Lieferantenwechsel aus und muss auch im Übrigen angemessen sein.

Im Sachverhalt gibt es keinerlei Hinweise, dass seitens der S die Vertragsanbahnungen verzögert, noch in anderer Weise gestört werden. Auch werden keine Kosten für einen Lieferantenwechsel gefordert. Insofern bleibt nun zu prüfen, ob die Bedingungen im Übrigen angemessen sind. Dabei kommt es auf Details des Einzelfalles. Inwiefern die von S geforderten Unterlagen und Formalitäten angemessen sind, müsste genauer untersucht werden.

c. Abzuschließende Verträge
Um den Anspruch des Netzbetreibers auf eine Gegenleistung in Form von Entgelt abzusichern, ist der Abschluss eines zusätzlichen Vertrages in Form eines Netznutzungs- oder Lieferantenrahmenvertrages notwendig. Diese Notwendigkeit der vertraglichen Ausgestaltung ergibt sich aus § 20 Abs. 1a EnWG. Der Abschluss des Lieferantenrahmenvertrages ist insbesondere in § 25 Abs. 1 StromNZV vorgesehen.

d. Die seitens E vorzulegenden Unterlagen und zu erfüllende Voraussetzungen
E muss gem. § 20 Abs. 1 S. 5 EnWG, § 3 Abs. 2 StromNZV und § 26 StromNZV nachweisen, dass er durch einen Bilanzkreisvertrag in ein Bilanzkreissystem eingebunden ist. Desweiteren ist E verpflichtet, Auskunft in Bezug auf die Punkte zu geben, die nach § 25 Abs. 2 StromNZV als Mindestinhalt des Lieferantenrahmenvertrags vorgeschrieben sind.
Da es sich bei E um einen Lieferanten handelt, darf die S als Betreiber eines Elektrizitätsversorgungsnetzes gem. § 24 Abs. 1 S. 2 StromNZV die Erteilung des Netzzugangs hingegen nicht von dem gleichzeitigen Abschluss eines Netznutzungsvertrages zwischen ihr und dem Letztverbraucher abhängig machen.

4. Lösung zu Frage 3
Was ist E zu raten, wenn S dennoch den Zugang verweigert?
E muss gem. § 14 Abs. 3 StromNZV mindestens einen Monat vor dem gewünschten Netzzugang einen konkreten Antrag auf Zugang bei der S stellen. Nach § 23 Abs. 1 StromNZV ist die S daraufhin verpflichtet, innerhalb einer Frist von sieben Arbeitstagen nach Eingang der Anforderung ein vollständiges und bindendes Angebot abzugeben.
Im Übrigen kann E ihren Netzzugangsanspruch sowohl zivilrechtlich, als auch verwaltungsrechtlich durchsetzen.

a. Sofern sich S grundsätzlich weigert, Zugang zu gewähren
Aus Sicht der E liegt in einem solchen Fall ein missbräuchliches Verhalten der S vor (§ 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EnWG). E kann daher einen Antrag auf Durchführung eines Missbrauchsverfahrens durch die BNetzA stellen. Wäre E Verbraucher, könnte sie auch gem. § 31 Abs. 2 EnWG ein besonderes Missbrauchsverfahren beantragen. Entscheidet die BNetzA im Sinne des E, kann diese den Netzzugang gem. § 30 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 EnWG anordnen. Entscheidet sie gegen ein missbräuchliches Verhalten, kann E Beschwerde beim OLG Düsseldorf einreichen.
E kann auch im Rahmen einer Leistungs-, Feststellungs-, modifizierten Stufenklage oder im Rahmen einer einstweiligen Leistungsverfügung ihr Recht durchsetzen. Die Klage kann dabei gerichtet sein auf:
      • Zugang direkt gem. § 20 Abs. 1 EnWG i. V. m. § 25 StromNZV
      • Unterlassung/Beseitigung gem. § 32 EnWG
      • Annahmeerklärung gem. § 894 Abs. 1 ZPO

b. Sofern sich S nicht grundsätzlich weigert, aber unangemessene Bedingungen stellt:
Die BNetzA empfiehlt in diesem Fall, die Vertragsbedingungen zunächst unter Vorbehalt anzunehmen, gleichzeitig aber einen Antrag auf ein Missbrauchsverfahren gegen die S zu stellen. Entscheidet die BNetzA im Sinne der E, ändert sie die Vertragsbestimmungen gem. § 30 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 EnWG ab. Entscheidet sie sich gegen E, kann dieser wieder Beschwerde beim OLG Düsseldorf einreichen.
Auch in diesem Fall kann E Klage erheben.



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